13.06.2016Sonstiges

BGH-Urteil zur Frage, wann detaillierte Info-Unterlagen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen „verdrängen“ können

Das „Kleingedruckte“ von Verträgen sorgt immer wieder für Ärger. Denn in den allermeisten Fällen werden Allgemeines Vertragsbedingungen nicht durchgelesen vor dem Vertragsabschluss – dennoch gelten die Regelungen später. Mit diesem alltäglichen Problem musste sich jedoch jüngst der Bundesgerichtshof auseinandersetzen. Denn im Versicherungsrecht gibt es besondere gesetzliche Regelungen, die auch den Inhalt von nicht übergebenen Unterlagen zu einem Vertragsbestandteil werden lassen konnten. Wann diese spezielle versicherungsrechtliche Regelung gilt und wo sie ihre Grenzen hat, beschäftigte in einem Fall verschiedene Gerichte bis hin zum Bundesgerichtshof (Urteil vom 17.06.2015, Aktenzeichen IV ZR 170/14).

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs betraf die Frage, ob und in wie weit Geltungsraum für diese Spezialregelung gibt, wenn Teilinformationen übergeben wurden. In dem entschiedenen Fall hatte die Klägerin im Jahr 2005 eine Unfallversicherung abgeschlossen. Sie hatte Info-Material mit detaillierten Leistungsbeispielen erhalten – diese Aufzählungen waren aber im Vergleich mit den –nicht übergebenen - Versicherungsbedingungen nicht vollständig. Als sich später ein Unfall ereignete, stellte sich die Frage, ob sich die von der Versicherung zu gewährenden Leistungen anhand der übergebenen Informationen oder anhand der nicht übergebenen Versicherungsbedingungen bemessen.

Diese Fragestellung hat folgenden rechtlichen Hintergrund: In der alten, seit 2008 nicht mehr gültigen Fassung von § 5a des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) war geregelt, dass die Versicherungsbedingungen nicht unbedingt an den Versicherten zugesandt oder auf sonstige Weise übergeben werden müssen, um zu einem Vertragsbestandteil zu werden. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen wurden nur dann nicht zu einem Bestandteil des abgeschlossenen Versicherungsvertrags, wenn der Versicherte binnen 14 Tagen bzw. 30 Tagen nach Vertragsabschluss schriftlich widersprochen hat. Mit anderen Worten: Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen wurden nur dann nicht zu einem Vertragsbestandteil, wenn der Versicherte nach dem Vertragsabschluss aktiv widersprochen hat.

Der Knackpunkt im dem jetzt vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall war, dass die Klägerin etwas bekommen hatte, was sie durchaus ausführlich über den Leistungskatalog der Versicherung informierte. Die Klägerin hatte Unterlagen erhalten, deren Inhalt durchaus Ähnlichkeit mit dem Inhalt von allgemeinen Versicherungsbedingungen hatte. Sie argumentierte daher, es sei kein Raum für die gesetzliche Regelung des § 5a des VVG (alte Fassung). Daher seien auch die Allgemeinen Vertragsbedingungen nicht durch die gesetzliche Anordnung zu einem Teil ihrer Unfallversicherung geworden.

Der Bundesgerichtshof folgte dieser Argumentation nicht und entschied, dass in dem Fall der Klägerin der § 5 a VVG (alte Fassung) angewendet werden könne. Denn die Klägerin habe einen gesonderten Hinweis unterzeichnet, dass sie ein Bedingungsheft erhalten habe. Der Bundesgerichtshof nahm diesen unterzeichneten Hinweis zum Anlass, um die Regelungen des § 5 a VVG (alte Fassung) anzuwenden. Denn der Klägerin hätte wegen dieses Hinweises bewusst sein müssen, dass es noch mehr Vertragsregelungen geben muss als die tatsächlich überlassenen Unterlagen. Da sie nicht fristgerecht den Widerruf gegen das Einbeziehen der Allgemeinen Versicherungsbedingungen erklärt habe, seien diese wirksam zu einem Vertragsbestandteil geworden.

Welche Folgen hat das Urteil für Versicherte?

Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass Informationsunterlagen nicht ohne Weiteres zum alleinigen Maßstab des Versicherungsschutzes werden können. Die gesetzliche Anordnung des § 5a VVG (alte Fassung), dass die Allgemeinen Versicherungsbedingungen auch dann zu einem Vertragsbestandteil werden, wenn der Versicherte ihren genauen Inhalt nicht zur Kenntnis genommen hat, lässt sich nicht ohne Weiteres aushebeln. Allerdings ist zu beachten, dass der Bundesgerichtshof auch mit den konkreten Umständen bei dem Vertragsabschluss argumentierte. Ein Grundsatzurteil fällte der Bundesgerichtshof am 17.06.2015 nicht. Das Urteil zeigt die Grenzen juristischer Argumentation auf – eine Blaupause, die sich auf jede Fallgestaltung anwenden lässt ist das Urteil daher nicht. Daher sollten Versicherte bei Auseinandersetzungen mit der Versicherung rund um den konkreten Inhalt von Versicherungsverträgen sich rechtlich unterstützen lassen.