21.09.2018Abgasskandal

VW „Sammelklage“ - Vorsicht vor Angeboten von Rechtsanwälten und Dienstleistern, Verbraucher sollten sich kostenlos an Musterfeststellungsklage beteiligen

Nachdem (und auch bereits davor) die Verbraucherzentrale Bundesverband am 12.09.2018 bekannt gegeben hat, dass sie am 01.11.2018 eine Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG wegen des Abgasskandals in Kooperation mit dem ADAC unter Beteiligung der Rechtsanwälte Dr. Ralf Stoll und Ralph Sauer einreichen wird, bieten einige Rechtsanwälte und Rechtsdienstleister als Alternative eine eigene „Sammelklage“ an und bewerben diese als bessere Variante zur Musterfeststellungsklage.

Geschädigten ist dringend zu raten, sich nicht an diesen sogenannten „Sammelklagen“ zu beteiligen, da sie erhebliche Risiken beinhalten. Die Rechtsanwälte werben damit, dass Geschädigte nur ein Verfahren durchführen müssen. Bei der Musterfeststellungsklage muss hingegen im Zweifel nochmals geklagt werden. Dabei erwähnen die Rechtsanwälte jedoch nicht, dass diese 2. Klage kaum ein Risiko beinhaltet, weil die Schadensersatzverpflichtung bereits festgestellt wurde. Außerdem wird bei den Sammelklagemodellen meist ein Prozessfinanzierer tätig, der 20-40 % vom Erfolg haben will, wenn die Klage gewonnen wird. Werden die Fahrzeuge nach einem gewonnen Prozess zurückgegeben, führt dies dazu, dass die Verbraucher kaum einen Gewinn aus dem Prozess haben werden. Die Erfolgsbeteiligung wird diesen Gewinn zum größten Teil auffressen. Die Rechtsanwälte und Dienstleister erwähnen nicht, dass dann das Fahrzeug besser heute schon verkauft werden kann und sich der Verbraucher den Aufwand sparen kann. Die Anwälte und Dienstleister werben außerdem damit, dass ein Verbraucher mit ihrer Klage schneller zum Erfolg kommt. Sie klären jedoch nicht darüber auf, dass ein Gericht, welches über tausende Fälle in einem Verfahren abschließend entscheiden soll aus rein praktischen Gründen 5-10 Jahre dauern kann. Die Musterfeststellungsklage wird daher schneller entschieden sein.

Außerdem beinhaltet eine solche Sammelklage meist die Abtretung der Ansprüche an eine dritte Person. Der Verbraucher ist an dem eigentlichen Prozess dann nicht mehr beteiligt. Es wird eine „Sammelklage“ konstruiert, was mit ganz erheblichen Risiken verbunden ist.

Keine „Sammelklagen“ im deutschen Recht vorgesehen, dafür gibt es die Musterfeststellungsklage

So wünschenswert die Interessenbündelung rechtspolitisch ist, in der Zivilprozessordnung (ZPO) ist sie nicht geregelt. Lediglich geschädigte VW-Aktionäre können ein Musterverfahren nach dem Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (KapMuG) wie beispielsweise in dem bekannten Telekom-Fall durchführen. Eine „Sammelklage“ für Autokäufer, die Schadensersatz verlangen, sieht das deutsche Prozessrecht hingegen nicht vor. Wenn Autokäufer gebündelt Ansprüche geltend machen wollen, bedarf es dazu rechtlicher Konstruktionen, um die Regelungen der ZPO umgehen zu können. Solche Konstruktionen bringen jedoch massive Risiken mit sich, sowohl für die VW-Geschädigten selbst als auch für den Rechtsdienstleister. Dies gilt dann, wenn in dem Urteil abschließend entschieden werden soll. Der Gesetzgeber hat jedoch zwischenzeitlich die Musterfeststellungsklage eingeführt, die eine Art Sammelklage darstellt und womit es Verbrauchern kostenlos ermöglicht wird, von dem Prozesserfolg zu partizipieren.

„Sammelklagen“ gesetzes- und sittenwidrig und damit unzulässig

Verschiedene Gerichte haben sich bereits mit konstruierten "Sammelklagen" in Deutschland befasst.

So hielt das Landgericht Düsseldorf in seinem Urteil vom 17.12.2013, 37 O 200/09 (Zementkartell) eine kartellrechtliche Sammelklage auf Schadensersatz für unzulässig. In diesem Verfahren hatten die geschädigten Abnehmer eines Preisbindungskartells ihre Ansprüche an eine Gesellschaft belgischen Rechts abgetreten, damit diese Gesellschaft die Ansprüche gegen die Zementhersteller gebündelt geltend machen kann. Das Landgericht Düsseldorf hielt diese Abtretungen für unwirksam, weil sie gesetzes- und sittenwidrig seien. Zum einen liege ein Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz vor. Zum anderen sei die Gesellschaft, an die die Ansprüche abgetreten wurden und die dann geklagt hatte, nicht in der Lage gewesen, die sehr hohen Prozesskosten bei einem Prozessverlust zu bezahlen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf bestätigte in seinem Urteil vom 18.02.2015, VI-U (Kart) 3/14 das Urteil des Landgerichts Düsseldorf. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht ist vom Kartellsenat des BGH zurückgewiesen worden (BGH, Beschl. v. 07.04.2009, KZR 42/08).

Auch das Oberlandesgericht Köln beschäftigte sich in seinem Urteil vom 11.03.2015, 13 U 149/13 mit einer "Sammelklage" geschädigter Fondsanleger. In dem dortigen Fall hatten Anleger eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegründet, an die sie ihre Ansprüche abgetreten haben. Das Oberlandesgericht Köln sah in dem dortigen Fall die Sammelklage als zulässig an. Das Gericht setzte sich jedoch ausführlich mit der Zulässigkeit der Sammelklage auseinander und sah diese nur deshalb als zulässig an, weil die Ansprüche endgültig abgetreten wurden. In einem weiteren Urteil vom 29.11.201, 20 U 130/13 3 hielt das Oberlandesgericht Köln eine "Sammelklage" für unzulässig.

Ob eine Rechtsdienstleister in der Lage ist, die Prozesskosten bei einem Prozessverlust zu tragen, ist fraglich. Geht man davon aus, dass für 100.000 Geschädigte geklagt werden soll, müsste der Rechtsdienstleister in der Lage sein, mindestens EUR 1 Mio. aufzubringen. Die Gefahr der Prozesstrennung ist dabei noch nicht berücksichtigt. Sollte das Gericht die einzelnen Verfahren abtrennen und aus dem einen 100.000 Prozesse machen, müsste der Rechtsdienstleister in der Lage sein bei einem jeweils geltend gemachten Schaden von EUR 5.000, ca. EUR 300 Mio. an gegnerischen Rechtsanwaltskosten aufzubringen. Es darf bezweifelt werden, dass dieser Betrag aufgebracht werden kann.

Aus der Sicht der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf ist daher eine solche Abtretung der Ansprüche nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und nichtig. Damit wäre aber auch die Sammelklage erfolglos.

Gefahr der Prozesstrennung

Eine weitere Gefahr für den Sammelkläger ist, dass das Gericht eine Prozesstrennung vornimmt. Nach § 145 ZPO kann das Gericht anordnen, dass mehrere in einer Klage zusammengefasste Ansprüche getrennt verhandelt werden, wenn dies aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist. Im VW-Skandal muss für jedes einzelne Fahrzeug der Schadensersatzbetrag gesondert festgestellt werden. Einen pauschalen Schadensersatz zu begründen dürfte nahezu unmöglich sein. So wird sich beispielsweise für ein Fahrzeug von Audi mit einem Wert von EUR 60.000.- ein anderer Schadensersatzbetrag ergeben als für ein viel gefahrenes gebrauchtes Fahrzeug von Skoda mit einem Wert von EUR 5.000. Wenn sich das Gericht dafür entscheidet, eine Prozesstrennung vorzunehmen, kann sich der Sammelkläger dagegen nicht zur Wehr setzen. Rechtsmittel dagegen gibt es in der ZPO nicht. Dadurch wird das Kostenrisiko exorbitant erhöht. Die Anwalts- und Gerichtskosten werden dann für jede einzelne Klage in das Unermessliche steigen. Es darf bezweifelt werden, dass der Sammelkläger in der Lage ist, dieses Kostenrisiko aufzufangen.

Gefahr der Widerklage durch VW und damit Kosten für die Geschädigten selbst

Den VW-Geschädigten wird versprochen, dass keine Kosten auf sie zukommen durch den Prozess. Dies mag für die aktive Klage richtig sein, nicht bedacht wird aber offensichtlich die Gefahr einer sogenannten Drittwiderklage. VW hat in dem Prozess durch einen geschickten Schachzug die Möglichkeit, eine Gegenklage (Drittwiderklage) gegen die Geschädigten selbst zu erheben, die eigentlich gar nicht Teil des Prozesses sein sollten.

Das OLG München, 23 U 2275/15 hat entschieden, dass eine solche Drittwiderklage zulässig ist. Das OLG München begründet seine Entscheidung damit, dass der Schädiger nicht sicher sein kann, dass die Abtretung auch wirksam erfolgt ist. In einem solchen Fall könnte sich der Schädiger eines weiteren Prozesses (durch den VW-Kunden selbst) ausgesetzt sehen, wenn die Klage verloren geht. Im VW Skandal bedeutet dies, dass VW auf die Klage des Sammelklägers dadurch reagieren könnte, dass sie jeden einzelnen Geschädigten VW Autokäufer mit einer Drittwiderklage überzieht. Selbst wenn der Sammelkläger dann gegen VW gewinnt, würde VW umgekehrt die Widerklage gewinnen. In diesem Fall müssten die Geschädigten selbst für die Kosten aufkommen, die sich schnell auf mehrere 1.000 EUR belaufen. Selbst wenn die Geschädigten dann Schadensersatz erhalten, würde dieser Betrag wieder durch die zu zahlenden Prozesskosten aufgefressen werden. Außerdem würden viele Geschädigte in ein Verfahren hineingezogen, mit welchen sie eigentlich gar nichts zu tun haben sollten.

Weitere Risiken

Es bestehen außerdem weitere praktische Risiken, die zur Folge haben können, dass ein solcher Mammutprozess kaum durchführbar ist oder sich zumindest jahrelang hinzieht. Bestreitet VW bereits die Abtretungen an den Dienstleister, muss das Gericht möglicherweise alle Geschädigten, die ihre Ansprüche abgetreten haben, laden und anhören. Wenn beispielsweise für 100.000 Geschädigte eine Anhörung vor Gericht durchgeführt werden muss und das Gericht an einem Prozesstag in der Lage ist, 30 Anhörungen durchzuführen, bedürfte es mehr als 3.000 Prozesstage. Selbst wenn solche Anhörungen täglich durchgeführt werden würden, wäre dafür alleine ein Zeitaufwand von 10 Jahren notwendig. Bereits daran wird die praktische Durchführungen einer "Sammelklage" mit so vielen Beteiligten scheitern.

Ob ein Gericht außerdem für jedes Fahrzeug pauschal einen gewissen Betrag als Schadensersatz festsetzt, ist ebenfalls sehr unwahrscheinlich. Das Gericht müsste für jedes Fahrzeug eine eigene Schätzung vornehmen, was bereits aus zeitlichen Gründen sehr schwierig sein wird. Ob das Gericht den Schadensersatzbetrag überhaupt schätzen kann, ist prozessrechtlich ebenfalls nicht einfach zu beantworten. Hierzu bedürfte es aufwändiger Beweisaufnahmen, die sich ebenfalls mehrere Jahre hinziehen können. Wenn das Fahrzeug zurückgegeben werden soll, muss das Gericht außerdem für jedes Fahrzeug den Rückabwicklungswert feststellen. Auch dies wird ein gigantischer Aufwand sein. Sollten tatsächlich Sachverständigengutachten notwendig sein, können hier die Kosten in die Millionen gehen. Außerdem führt ein solcher Prozess dazu, dass es über Jahre zu keinem Ergebnis kommen wird.

Fazit

Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH rät daher dringend davon ab, sich an solchen Modellen zu beteiligen. Gerade im Hinblick auf die Gefahr der Drittwiderklage und des damit verbundenen Kostenrisikos für jeden einzelnen Geschädigten ist davor zu warnen, sich blind einer solchen Klage anzuschließen, ohne sich zuvor abgesichert zu haben. Zwischenzeitlich gibt es mit der Musterfeststellungsklage in Deutschland ein sehr gutes Modell, sich kostenlos an einem Verfahren zu beteiligen, ohne ein Risiko eingehen zu müssen. Außerdem wird die Musterfeststellungsklage schneller entschieden sein aufgrund der oben genannten praktischen Probleme. Die angebliche „Sammelklage“ hilft also schlussendlich nur den Anwälten, die sie bewerben.

Rechtsschutzversicherte Geschädigte sollten den Weg der Einzelklage wählen. Zahlreiche Gerichte urteilen zugunsten der Geschädigten, weshalb dies der beste Weg ist.