In zahlreichen Prozessen wegen des Abgasskandals wird aktuell um die Frage stritten, ob die von Autokäufer eingeforderte Neulieferung eines mangelfreien Serienfahrzeugs an einem „Modellwechsel“ scheitert oder nicht. Denn seit dem Bekanntwerden des Abgasskandals hat der VW-Konzern bei zahlreichen Fahrzeugen eine neue Baureihe eingeführt. Die Landgericht Offenburg und Aachen haben in zwei aktuellen Urteilen entschieden, dass sich die aktuellen Modellreihen sich nicht so deutlich von den Vorgängerbaureihen unterscheiden, dass die Nachlieferung eines neuen Autos daran scheitern würde (Urteil des Landgerichts Aachen vom 08.06.2017, Aktenzeichen: 12 O 347/16 (Tiguan) und Urteil des Landgerichts Offenburg vom 09.06.2017, Aktenzeichen: 3 O 240/16 (Touran))
In den beiden von der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer geführten Prozessen hatten die verklagten Autohäuser eingewandt, dass die jeweiligen Kläger höchstens das alte, nicht mehr produzierte Modell einfordern könnten. Außerdem seien die Kosten für die Neulieferungen im Vergleich mit den Kosten des Softwareupdates unverhältnismäßig hoch. Beiden Argumenten erteilten die Landgerichte eine Absage.
Landgericht Aachen: AGB-Klauseln geben den Ausschlag
Im vor dem Landgericht Aachen verhandelten Fall ging es um einen VW Tiguan, den der Kläger Anfang 2014 bestellt hatte. Wie bei VW-Kaufverträgen üblich, befindet sich in den AGB (Allgemeine Geschäftsbedingungen, das „Kleingedruckte“) eine Klauseln zu Form- und Konstruktionsveränderungen während der Lieferzeit. Dort ist geregelt, dass der Autokäufer ihm zumutbare Veränderungen am Bau, der Farbe und dem Ausstattungsumfang hinnehmen muss, wenn ihm dies zuzumuten sei. Vor dem Hintergrund dieser Klausel entschied der Richter, dass die Lieferung eines Tiguan II anstelle eines Tiguan I dem Kunden zumutbar sei. Wenn jedoch diese Abweichungen bereits bei der (ersten) Lieferung unschädlich sein sollten, dann könne für die Nachlieferung nichts anderweitiges gelten.
Die Lieferung eines neuen Tiguan II sei auch nicht unverhältismäßig gegenüber dem Händler. Denn die Abgasmanipulationen seien ein erheblicher Fahrzeugmangel. Immerhin werde deswegen durch das Kraftfahrtbundesamt angedroht, dass die Fahrzeuge stillgelegt werden würden, wenn das Softwareupdate nicht durchgeführt werde. Auch seien die (Langzeit-)Folgen des Updates nicht einzuschätzen: „Es ist noch ungewiss, ob das von der Beklagten angebotene Softwareupdate den Sachmangel vollständig ausgleicht oder nachteilige Folgen erwarten lässt.“ Zudem seien bei dem Softwareupdate die hohen Entwicklungskosten bei VW zu berücksichtigen. Das Update kostet also nicht € 100, sondern wesentlich mehr.
Landgericht Offenburg: Touran I und Touran II sind gleichwertige Fahrzeuge
In dem Urteil des Landgerichts Offenburg ging es um einen im Herbst 2013 bestellten VW Touran I Comfortline. Wie das Landgericht Aachen stützte sich auch das Landgericht Offenburg auf die in den AGB enthaltene Klausel zu Form- und Konstruktionsänderungen. Diese Klausel zeige, dass sowohl der Autohändler als auch der Kunde beim Vertragsschluss davon ausgegangen seien, dass das bestellte Fahrzeug durch ein gleichwertiges und gleichartiges ersetzt werden kann. So dann setzt sich das Gericht en detail damit auseinander, wie sich dies Touran I und dem aktuelle Touran II verhält:
„Das Nachfolgemodell (VW Touran) ist dem zunächst gelieferten Fahrzeug funktionell gleichartig und gleichwertig. Weder der Umstand, dass das neue Modell des VW Touran etwas länger (130 mm), etwas breiter (35 mm), etwas flacher (-6mm) und 62 kg leichter geworden ist und in diesem ein Dieselmotor EA288 mit anderen Leistungsstufen unter Schadstoffklasse EU6 verbaut ist, rechtfertien die Annahme dass es sich hierbei um ein „aliud“ [Anm: Rechtsbegriff für etwas nicht vergleichbares anderes] gegenüber dem zunächst gelieferten PKW handelt. Die vorgenommenen Änderungen betreffen die Konstruktion und Form des Fahrzeugs; sie sind nicht von einem solchen Ausmaß, dass eine Erfüllungstauglichkeit gemessen am Maßstab des Abschnitts IV. Ziffer 6 [Anm: Form- und Konstruktionsänderungsklausel] infrage gestellt ist. Auch die Klägerin beanstandet die Änderungen nicht. Gleiches gilt für die technischen Änderungen (Motorleistung, Schadstoffklasse EU 6), zumal kein „Downsizing“ z. B. der Leistung vorliegt. Dass eine Sonderausstattung in Gestalt eines sogenannten LIFE-Plus-Paktes nunmehr nicht mehr möglich ist, steht dem ebenfalls nicht entgegen. Auch insoweit handelt es sich nicht um konstruktive Änderungen von solchem Gewicht, dass eine Erfüllungstauglichkeit in Frage steht.“
In vergleichbarer Weise hat sich das Landgericht Offenburg auch beim Modellwechsel des VW Tiguan positioniert.
Downloadbereich