13.02.2020Abgasskandal

Fall Reuschle: Kanzlei Dr. Stoll & Sauer wirft Stuttgarter Landgerichtspräsidenten Singer Gängelei und Verschleierung vor

Der Justizskandal am Landgericht Stuttgart ist um einen neuen Aspekt reicher geworden. Im Mittelpunkt der aktuellen Auseinandersetzung rund um den Fall des Diesel-Richters Dr. Fabian Richter Reuschle steht der interne Geschäftsverteilungsplan der 3. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart. Diesen Plan wollte sich die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH aus Lahr genauer ansehen und bat das Gericht per Mail am 26. Januar 2020 um dessen Zusendung. Der Gerichtspräsident Dr. Andreas Singer ließ postalisch am 27. Januar 2020 mitteilen, dass der Geschäftsverteilungsplan am Landgericht Stuttgart eingesehen und ein Termin vereinbart werden könne. Aber warum nicht einfach eine Kopie faxen oder per Mail weiterleiten? Für Dr. Ralf Stoll ist klar: „Uns soll das Leben schwer gemacht werden.“ Der Streit in der Sache Reuschle sei dem Gerichtspräsidenten ein Dorn im Auge. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer gehört im Diesel-Abgasskandal zu den führenden Kanzleien in Deutschland und ihre Inhaber vertreten in der Musterfeststellungsklage gegen VW rund 450.000 Verbraucher.

Reuschle will Diesel-Abgasskandal von Daimler an den EuGH bringen

Im Kern des Skandals steht die Daimler AG und der Fall „Reuschle“. Reuschle wollte im Diesel-Abgasskandal 21 Verfahren zusammenfassen und dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zur Vorabentscheidung vorlegen. Daimler-Anwälte haben gegen Reuschle daraufhin einen Befangenheitsantrag gestellt – über den noch nicht entschieden worden ist. Dabei ist mit Dr. Sebastian Sonn ein Richter involviert, der bis 2016 für die Kanzlei Gleiss Lutz gearbeitet hat. Und Gleiss Lutz vertritt im Diesel-Abgasskandal den Autobauer - auch in Verfahren im Fall „Reuschle“.  Befangenheitsanträge gegen Sonn sind von der zuständigen Kammer überraschenderweise abgelehnt worden (Az. 3 O 254/18). „Die Begründung ist in der Summe völlig absurd und zeigt wie verzahnt Lobbyisten und Gericht wohl miteinander schon sind“, ärgerte sich Dr. Ralf Stoll über die Ablehnung der Anträge. Die Verbraucherkanzlei ist mit einem Verfahren in den Reuschle-Fällen beteiligt.

 

Geschäftsverteilungsplan soll für Transparenz sorgen

Und nun ringt die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer mit dem Landgerichtpräsidenten um den internen Geschäftsverteilungsplan der 3. Zivilkammer am Landgericht Stuttgart. Aus dem Plan wird ersichtlich, nach welchem System die Arbeiten in der Kammer vergeben und verteilt werden. Damit soll Transparenz, Demokratieprinzip und Justizgewährungsanspruch gegen Willkür gesichert werden. Mit Antrag vom 12. Februar 2020 soll der Landgerichtspräsident Dr. Andreas Singer dazu verpflichtet werden, den internen Verteilungsplan und alle Änderungsbeschlüsse für die Jahre 2019 und 2020 in Kopie der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer zu übersenden. Dem Präsidenten wird vorgeworfen, eine grob rechtswidrige und fehlerhafte Entscheidung gefällt zu haben. Singer verweist in seinem Schreiben auf das Gerichtsverfassungsgesetz, ohne sein Ermessen dabei auszuüben. Es sei ihm nicht darum gegangen, eine ordentliche Entscheidung zu treffen, sondern es der Kanzlei schwer zu machen, heißt es in dem Antrag weiter. Die zahlreichen Befangenheitsanträge die im Reuschle-Verfahren bisher gestellt worden sind, seien ihm ein Dorn im Auge. „Er möchte der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Steine in den Weg legen und auf diese Weise die Daimler AG in dem Zivilverfahren schützen“, sagte Dr. Ralf Stoll. Der normale Geschäftsverteilungsplan ist im Internet einsehbar. Der interne hätte mittels Kopie per Mausklick an die Kanzlei gesandt werden können. Mit vernünftigen Erwägungen habe die Entscheidung nichts zu tun. Stoll sieht in dem Handeln des Gerichtspräsidenten reines „Gängeln“.

„Im Übrigen ist die Entscheidung fehlerhaft“, stellte Stoll weiter klar. Es gibt ein Recht auf Zusendung des Geschäftsverteilungsplans. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat in einem Beschluss vom 25. Februar 2019 dieses Recht eingeräumt (Az. 14 VA 2/19), ebenso der Bundesgerichtshof (Az. IV AR (VZ) 2/18). Das OLG Stuttgart weist in seinem Beschluss auf das Transparenzgebot und Demokratieprinzip hin. Die Bürger müssen wissen, welche Richter zur Entscheidung über bestimmte Rechtsstreitigkeiten berufen werden. Da der normale Geschäftsverteilungsplan im Internet abrufbar ist, hätte der interne zumindest per Post zugestellt werden müssen. Ralf Stoll: „Der Landgerichtspräsident hat offensichtlich kein Interesse daran, Transparenz herzustellen. Im Gegenteil: Er möchte verschleiern.“

Was bisher im Fall des Diesel-Richters Reuschle geschah

Am 13. November 2019 fasst der Richter am Stuttgarter Landgericht Dr. Fabian Richter Reuschle im Diesel-Abgasskandal der Daimler AG 21 Klageverfahren in einem Sammeltermin zusammen. Er hatte die Absicht, dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg anhand der 21 Verfahren wichtige Fragen im Abgasskandal zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Am 26. November 2019 lehnen die juristischen Vertreter der Daimler AG Richter Reuschle wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Sie halten den sogenannten Dieselrichter für Voreingenommen. Zumal er bereits in Verfahren gegen die VW AG für befangen erklärt worden war, weil seine Ehefrau im Diesel-Abgasskandal gegen VW im Rechtsstreit lag.

Die für den 3. Dezember 2019 terminierte Verfahren werden offensichtlich von Richter Dr. Sebastian Sonn aufgehoben. Gleichzeitig sickert an die Öffentlichkeit durch, dass genau dieser Richter, der auch über den Befangenheitsantrag gegen Reuschle zu entscheiden gehabt hätte, bis Herbst 2016 für die Kanzlei Gleiss Lutz aus Stuttgart tätig war. Gleiss Lutz vertritt Daimler in einigen der 21 Reuschle-Verfahren. Das Landgericht Stuttgart leitet daraufhin einen Transparenzhinweis an die Klägeranwälte weiter, in dem über die frühere Tätigkeit des Richters Dr. Sonn informiert wurde.

Am 13. Dezember 2019 fordert die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer den Richter Dr. Sonn schriftlich zu einer dienstlichen Stellungnahme auf. Vorwurf: Er hat bereits klageabweisende Urteile gegen Geschädigte des Abgasskandals erlassen, ohne vorher seine Tätigkeit bei Gleiss Lutz gemäß Paragraph 48 ZPO anzuzeigen. Das Verhalten wird als grob rechtswidrig kritisiert, und es stehe der Verdacht der Rechtsbeugung und schwerer dienstlicher Verfehlungen im Raum. Dr. Sonn wird nahegelegt sich selbst in den Daimler-Verfahren abzulehnen. Darüber hinaus wird die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen Dr. Sonn gefordert. Über den Vorgang informiert die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer schriftlich den Präsidenten des Landgerichts Andreas Singer, das gesamte Präsidium, den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg Winfried Kretschmann (Grüne) und den Landesjustizminister Guido Wolf (CDU). Des Weiteren reichte die Kanzlei noch eine Petition an den Landtag von Baden-Württemberg ein.

Richter Dr. Sebastian Sonn teilt am 17. Dezember 2019 in einer persönlichen Stellungnahme mit, dass er in Verfahren, in denen die Kanzlei Gleiss Lutz involviert war, frühzeitig für Transparenz gesorgt und seine frühere Tätigkeit offengelegt habe. Dieser Darstellung widerspricht eine die Klägerseite vertretende Kanzlei.

Am 19. Dezember 2019 lehnen zwei Kläger-Kanzleien Richter Dr. Sebastian Sonn aus Sorge der Befangenheit ab.

Eine Kanzlei weißt am 20. Dezember 2019 darauf hin, dass sie in ihren Verfahren nie einen Hinweis von Dr. Sonn über seine frühere Tätigkeit bei der Kanzlei Gleiss Lutz erhalten hätten.

Am 20. Dezember 2019 antwortet die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer auf den Transparenzhinweis in Sachen Dr. Sonn vom 17. Dezember 2019 mit einem Fragenkatalog und beklagt das Informationsdefizit. Warum folgte der Transparenzhinweis erst auf Nachfragen der Klägervertreter? Warum erfolgte der Transparenzhinweis durch den Vorsitzenden Richter Patschke und nicht durch Dr. Sonn selbst?
Hat Richter Dr. Sonn Verhandlungstermine aufgrund des Befangenheitsantrags gegen Richter Dr. Reuschle aufgehoben, obwohl Reuschle das selbst auch hätte machen dürfen? (Paragraph 47 Abs. 1 ZPO) Hatte Dr. Sonn in seiner Zeit bei Gleiss Lutz Mandate der Daimler AG? War Richter Dr. Sonn bei Gleiss Lutz an den Beratungen zu einem Kartellverfahren wegen illegaler Absprachen zwischen mehreren Automobilherstellern beteiligt? Ging es hierbei um die Daimler AG, BMW AG, Volkswagen AG, Audi AG und Porsche SE? In welchen Themengebieten war er tätig? War er auch an den Beratungen zur Selbstanzeige der sogenannten „Fünfer-Runde“ beteiligt? Ist es korrekt, dass Richter Dr. Sonn weiterhin Kontakte zu der Kanzlei Gleiss Lutz unterhält? Die Fragen werden nie beantwortet.

Am 23. Dezember 2019 teilt das Landesjustizministerium der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer mit, dass ihre Aufforderung Disziplinarmaßnahmen zu ergreifen, an den Präsidenten des Landgerichts Stuttgart weitergeleitet worden sei.

Am 27. Dezember 2019 teilte das Staatsministerium von Ministerpräsident Winfried Kretschmann der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer mit, dass ihr Anliegen an das zuständige Landesjustizministerium weitergeleitet worden sei.

Am 2. Januar 2020 bestätigt der Landtag von Baden-Württemberg den Eingang der Petition.

Am 10. Januar 2020 unterstreicht die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer erneut schriftlich beim Präsidenten des Landgerichts Stuttgart, dass gegen Richter Dr. Sebastian Sonn ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden muss.

Am 23. Januar 2020 lehnt die 3. Zivilkammer des Stuttgarter Landgerichts durch den Vorsitzenden Richter Patschke, Vorsitzende Richterin Dr. Iffland und Richterin Fahrner die Befangenheitsanträge gegen Richter Dr. Sonn als unbegründet ab (Az. 3 O 254/18). Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Der abgelehnte Richter war bei der Kanzlei Gleiss Lutz nie im Diesel-Abgasskandal bei Verfahren über die Rückabwicklung von Kaufverträgen beteiligt. Bei der Auto-Kanzlei war er mit anderen Fragen beschäftigt. Die Kammer vertraut den Aussagen des abgelehnten Richters. Den Fragenkatalog der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer bezeichnet die Kammer als „Ausforschung“, die sich der Richter Dr. Sonn nicht zu stellen brauche. Zudem stehe er in keinen „nahen geschäftlichen oder persönlichen Beziehungen“ zu Daimler. Zusammenfassend stellt das Gericht fest:

„Auch die Zusammenschau aller Umstände begründet eine Besorgnis der Befangenheit nicht. Die Beklagte ist ein weltweit tätiger Konzern mit tausenden Mitarbeitern in der Region des Landgerichts Stuttgart. Die Kanzlei Gleiss Lutz ist eine international tätige Kanzlei mit rund 350 Anwälten und Gründungssitz in Stuttgart. Bei der Größe des Konzerns und der Kanzlei, der gemeinsamen juristischen Ausbildung von Richtern und Anwälten, der gewünschten „Durchlässigkeit" der Berufszweige und der erforderlichen Zusammenarbeit der Organe der Rechtspflege sind persönliche Kontakte aller Richter des Landgerichts Stuttgart zu Mitarbeitern der Beklagten auf privater Ebene und zu Anwälten aus der Kanzlei Gleiss Lutz auf professioneller Ebene eher die Regel als die zu einer Befangenheit führende Ausnahme.“

 

Am 24. Januar 2020 stellt die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer einen Befangenheitsantrag gegen Andreas Patschke, Dr. Cornelia Iffland und Fahrner von der 3. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart. Gerade durch die zusammenfassende Begründung der Ablehnung des Befangenheitsantrags gegen den Richter Dr. Sonn hat die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer den Eindruck gewonnen, dass am Landgericht Stuttgart eine Nähe zwischen Richtern und Lobbyisten-Kanzlei gewachsen ist, die über das hinausgeht, was ein Rechtsstaat vertragen kann. Die Automobilindustrie betreibt die Unterwanderung der Justiz und das Landgericht Stuttgart verschließt davor die Augen.

Am 27. Januar 2020 teilte der Präsident des Landgerichts Stuttgart, Andreas Singer, der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer mit, dass die Schreiben vom 13. Dezember 2019, vom 10. Januar 2020 und der vom Landesjustizminister weitergeleitete Brief eingegangen seien. Darin wurden Disziplinarmaßnahmen gegen Richter Dr. Sonn gefordert. Bisher hat sich das Präsidium mit der Forderung nicht beschäftigt. Grund: Zum Befangenheitsantrag gegen Richter Dr. Sonn gebe es noch keine rechtskräftige Entscheidung. Hier werde der Ausgang des Verfahrens abgewartet.

 

Am 12. Februar 2020 fordert die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer vom Landgerichtspräsidenten Dr. Andreas Singer in einem Antrag die Zusendung des internen Geschäftsverteilungsplans der 3. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart. Singer hatte nur die Einsichtnahme vor Ort genehmigt. Ralf Stoll wirft dem Präsidenten Gängelei und Verschleierung zugunsten der Daimler AG vor.

 

Dr. Stoll & Sauer führt Musterfeststellungsklage gegen VW mit an

Bei der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH handelt es sich um eine der führenden Kanzleien im Abgasskandal. Die Kanzlei ist unter anderem auf Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisiert. Die Kanzlei führt mehr als 2000 Verfahren gegen verschiedene Autobanken wegen des Widerrufs von Autokrediten. Im Widerrufsrecht bezüglich Darlehensverträgen wurden mehr als 5000 Verbraucher beraten und vertreten. Daneben führt die Kanzlei mehr als 12.000 Gerichtsverfahren im Abgasskandal bundesweit und konnte bereits hunderte positive Urteile erstreiten.

In dem renommierten JUVE Handbuch 2017/2018, 2018/2019 und 2019/2020 wird die Kanzlei in der Rubrik Konfliktlösung - Dispute Resolution, gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten besonders empfohlen für den Bereich Kapitalanlageprozesse (Anleger). Die Gesellschafter Dr. Ralf Stoll und Ralph Sauer führen in der RUSS Litigation Rechtsanwaltsgesellschaft mbH für den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) außerdem die Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG. Im JUVE Handbuch 2019/2020 wird die Kanzlei deshalb für ihre Kompetenz beim Management von Massenverfahren als marktprägend erwähnt.