13.06.2016Sonstiges

BGH: Leichtsinn von Anlegern führt nicht zwingend zur Kürzung von Schadensersatz – Urteil von Kanzlei Dr. Stoll & Kollegen erstritten

Bei der Anlageberatung spielt Vertrauen eine erhebliche Rolle. Doch wie viel Vertrauen dürfen Anleger in die Empfehlungen eines Beraters haben, wenn sie investieren? Diese Fragestellung hat im Fall eines von der Kanzlei Dr. Stoll & Kollegen vertretenen Anlegers verschiedene Gerichte bis hin zum Bundesgerichtshofs beschäftigt. Im Februar 2015 hat der BGH nun entschieden, ob und wie weit den Anleger eine Mitverantwortung treffen kann, wenn er sich bei einer erheblichen Investition ausschließlich auf die Empfehlung des Beraters verlässt.

Der Anleger hatte sich an einem geschlossenen Leasingfonds beteiligt. Der Anlageberater hatte den Fonds in der Beratung als eine vollkommen sichere Kapitalanlage vorgestellt, die sich angeblich hervorragend für die Altersvorsorge eigne. Risiken kamen in der Beratung nicht zur Sprache. Allerdings unterzeichnete der Anleger verschiedene Bestätigungen und Erklärungen, wonach er Unterlagen erhalten und über Risiken aufgeklärt worden sein soll. Der Anleger ging jedoch davon aus, dass es sich dabei um rein formale Hinweise handele, weil der Anlageberater ihm ausdrücklich versicherte, dass bei diesem Fonds Verluste praktisch ausgeschlossen seien und zudem wegen steuerlicher Vorteile ohnehin ein Ausgleich vorhanden sei.  Mit anderen Worten: Der Anlageberater entkräftete durch seine mündlichen Erläuterungen die schriftlichen und vom Anleger unterschriebenen Warnhinweise.

Das Landgericht wies die Klage des Anlegers ab. Das in zweiter Instanz zuständige Oberlandesgericht entschied dann aber, dass dem Kläger Schadensersatz wegen einer fehlerhaften Anlageberatung zustehe. Denn dem Kläger sei eine spekulative Kapitalanlage empfohlen worden, die sich nicht zur Altersvorsorge eigne. Allerdings kürzte es den Anspruch des Klägers um die Hälfte, weil der Kläger sich besonders leichtfertig verhalten habe. Er habe eine erhebliche Summe investiert, ohne sich selbst mit der Materie zu beschäftigen oder auch nur das erhaltene Informationsmaterial zu lesen. Das Oberlandesgericht wertete dieses Versäumnis als Mitverschulden des Klägers.

Der Bundesgerichtshof verwarf diese Schlussfolgerung. Er stellte klar, dass die Ansprüche eines Anlegers nur dann auf diese Weise gekürzt werden können, wenn der Anleger über eigene Sachkunde oder über zusätzliche Informationen von Dritten verfügt. Namentlich für die Annahme einer eigenen Sachkunde des Klägers über Leasingfonds reiche es nicht aus, dass der Kläger bereits über allgemeine Geschäftserfahrungen mit Grundstücken und der Absicherung von Krediten verfügt habe. Denn ein Leasingfonds sei eine gänzlich andere Anlage, die mit dem Ankauf einer Immobilie für Anlagezwecke nichts gemein habe. Vielmehr dürfe ein nicht sachkundiger Anleger sich regelmäßig darauf verlassen, dass er richtig und vollständig beraten wird. Der Bundesgerichtshof bestätigte damit seine bisherige Rechtsprechung.

Eine weitere Fragestellung, die der Bundesgerichtshof in diesem Urteil behandeln musste, ist die Anrechnung von Steuervorteilen. Das Gericht stellt klar, dass ein Anleger, der eine Schadensersatzzahlung erhält, sich nicht jeglichen steuerlichen Vorteil anrechnen lassen muss. Denn die Steuerbarkeit von Schadensersatzzahlungen hänge direkt mit der Konstruktion der Fondsgesellschaft zusammen. Daher müssen im Einzelfall geprüft werden.

BGH: Ein Anleger darf regelmäßig auf die Richtigkeit und die Vollständigkeit der Beratung vertrauen – selbst bei „leichtsinnigem“ Verhalten kommt nur in wenigen Ausnahmefällen eine Kürzung von Ansprüchen in Betracht.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Bundesgerichtshof sich bei der Frage, ob und wie weit ein Anleger seine Anlageberatung kontrollieren muss, auf die Seite des Durchschnittsanlegers gestellt hat. Ein Anleger darf in der Regel auf die mündliche Beratung vertrauen. Wenn Warnhinweise unterzeichnet wurden, die in Widerspruch zum Inhalt der mündlichen Beratung stehen, so ist das nicht das „automatische Aus“ für Ansprüche wegen fehlerhafter Anlageberatung. Auch eine Reduzierung von Ansprüchen erfolgt nicht zwingend – selbst wenn der Anleger sich „leichtsinnig“ verhält. Der BGH hatte hier ein sehr praxisrelevantes Problem zu behandeln. Denn es ist häufig zu beobachten, dass Anleger den Aussagen des Beraters die meiste Bedeutung zumessen und nach Beratungen immer wieder Beratungsprotokolle unterzeichneten, in denen sich verschiedene Warn- und Risikohinweise befinden, von denen in der Beratung aber keine Rede war.

Das Urteil des BGH vom 19.02.2015  (Aktenzeichen III ZR 90/14) ist veröffentlicht.